von Julia Große Siestrup
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26 Juli, 2021
10 Mythen über's Stillen, die ihr kennen müsst und die dazugehörige Aufklärung. Am vergangenen Mittwoch fand mal wieder mein Stillworkshop „Die Milch macht’s“ statt. Der Kurs ist geeignet für Schwangere ab der 32. SSW, die sich gezielt darauf vorbereiten möchten, eine harmonischen Stillbeziehung zu etablieren. Bestandteil des Kurses ist auch, über „Ammenmärchen“ aufzuklären. Die gängigsten Mythen, die rund ums Stillen kursieren habe ich euch nun aufgelistet. Dazu gibt es die passende Erklärung, die mit Gerüchten rund um die Milch aufräumt. Und los geht’s: 1.) Aufs Stillen muss man sich nicht vorbereiten, das ist das natürlichste der Welt und klappt von selbst Stillen ist kein Instinkt sondern eine soziale Kompetenz, sprich, wir sind darauf angewiesen, das Stillen gezeigt zu bekommen. Von unserer Mutter, älteren Schwester, Cousine oder sonst jemandem aus dem Clan. Wir leben nur leider nicht in eben diesem sondern in der durchschnittlichen deutschen Kleinfamilie. Wir saugen das Stillen nicht mehr buchstäblich mit der Muttermilch auf. #normalizebreastfeeding schlimm genug, dass es diesen Hashtag geben muss. Stillen ist das normalste der Welt. 2.) Die Brustwarzen muss man aufs Stillen vorbereiten Nein, man muss nicht reiben und rubbeln um die Brustwarzen abzuhärten. Und auch das Gerücht, dass Stillen in den ersten Wochen weh tun muss ist was es ist. Ein Gerücht. Wenn du Schmerzen beim Stillen hast, dann stimmt was nicht. Such dir eine Stillberaterin und lass dir helfen, meist liegt es an der Anlagetechnik. Und wenn die Brustwarzen schon wund sind, viele Hebammen können das inzwischen lasern. Stillen muss nicht weh tun. Die Natur wäre ja schön dumm, sowas einzubauen. 3.) Neue Milch auf alte Milch macht Bauchweh Das Gerücht stammt tatsächlich aus den Anfangszeiten der künstlichen Säuglingsnahrung. Die war damals tatsächlich schwer verdaulich und daher wurde dazu geraten, zwischen den Mahlzeiten Zeit vergehen zu lassen. Warum und wann sich von der Flaschennahrung aufs Stillen übertragen hat weiß keiner. Muttermilch besteht zu mehr als 80 % aus Wasser, sie ist super schnell verdaut! 4.) Blähendes Essen der Mutter macht dem Baby Bauchweh Weit verbreiteter Irrglaube! Und er hält sich hartnäckig. Muttermilch wird aus Blut gebildet und solange der Kohl nicht in deine Blutbahn gelangt, kommt er auch nicht aus deiner Brust. Dennoch kann es sein, dass dein Baby auf manche Lebensmittel empfindlich reagiert. Das meiste kennt es allerdings schon aus der Zeit aus dem Bauch, da können Babys nämlich schon schmecken. Und zur allgemeinen Allergieprävention ist es ratsam, in der Stillzeit viele verschiedene Lebensmittel zu sich zu nehmen. 5.) Wenn länger als 6 Monate gestillt wird, steht das der Beikost im Weg Naja, es heißt ja nicht umsonst BEIkost und nicht ANSTATTkost. Die ersten 6 Monate ausschließlich zu stillen ist eine weltweite Empfehlung der WHO. Danach kann, bei Erfüllung der Beikostreifezeichen, mit Brei oder BLW gestartet werden. Oder mit beidem? Auch das Essensthema kann man undogmatisch angehen. Der Sinn der Allergieprävention ist es, dass neu eingeführte Lebensmittel von Muttermilch (oder Pre) umspült werden. Daher stille gern weiter, so lange du und dein Baby es möchten. 6.) Länger als 12 Monate zu stillen bringt dem Kind nichts mehr, nur der Mutter Das baut auf #5 auf. Die WHO empfiehlt nämlich außerdem, bis zum 2. Lebensjahr zu stillen. Natürlich nur, wenn Mama und Baby es beide wollen. Im Kleinkindalter, vor allem, wenn das Kleinkind schon gut am Familientisch mitisst, geht es beim Stillen nicht mehr nur um reine Nahrungsaufnahme. Denn Stillen ist auch Trost, Geborgenheit, eine Einschlaf- oder Weiterschlaf-Hilfe und so viel mehr. Und wenn ein Kleinkind nicht mehr möchte, wird es ziemlich schwierig, es zum Stillen zu zwingen - jede Mama eines autonomen Kleinkindes wird dies bestätigen können: Gegen den Willen ist schwierig. 7.) 4 Stunden Abstand zwischen den Stillmahlzeiten müssen eingehalten werden Ein Irrglaube, der zu #4 passt. Niemand muss einen Abstand einhalten. Muttermilch ist nach spätestens 90 Minuten verdaut. Es ist gut möglich, dass dein Kind eine Stunde nach der letzten Stillmahlzeit wieder Hunger oder Durst hat. Vor allem im Sommer wollen Babys vermehrt stillen um so den zusätzlichen Flüßigkeitsbedarf abzudecken. Denn Wasser ist vor Einführung der Beikost strickt Tabu und sogar gefährlich. Dazu gehört auch Tee. Babys brauchen keinen (Fenchel)-Tee. Die kleinen Nieren können das Wasser noch nicht verpacken, es kann zu einer Wasservergiftung kommen. 8.) Bei einem Milchstau muss man abstillen Falsch! Bei einem Milchstau muss man eben gerade stillen! Und das Kinn des Baby sollte richtig Stau zeigen. Da kann es sein, dass man sich schon mal richtig verrenken muss. Vorm Stillen Wärmen und nachdem Stillen Kühlen kann helfen. Genau wie Quarkwickel. Und vor allem viel Ruhe. Milchstaus entstehen meist durch Stress und Druck bei der Mama. Also, entspannen, um Hilfe bitten und ab ins Bett mit dem Baby und viel Stillen. 9.) Stillkinder haben keine Bindung zu ihrem Vater/der nicht stillenden Mutter Blödsinn. Eine Bindung kann auf so viele unterschiedliche Weisen aufgebaut werden. Na klar haben stillende Mütter quasi Heimvorteil. Babywearing gilt aber international als das Stillen der Väter. Also Tragetuch oder Tragehilfe her, Baby rein, und los. So kann übrigens auch der Papa/die nicht stillende Mama das Baby wunderbar zum Einschlafen bringen. Der geballte Körperkontakt tut sein übriges und hilft z.B. auch prima bei Gebärmutterheimweh (den abendlichen Schreistunden in den ersten 3 Monaten). 10.) Wenn das Kind zur Tagespflege/Kita geht muss abgestillt werden Die meisten Kinder werden um den ersten Geburtstag herum eingewöhnt. Das ist definitiv noch nicht das natürliche Abstillalter, also Kinder würden sich in den seltensten Fällen von selbst mit 12 Monaten abstillen. Dazu kommt, dass gerade um den ersten Geburtstag herum viele Entwicklungsschübe stattfinden. Plus, eine Eingewöhnung ist eine sehr sensible Phase. Da gleichzeitig abzustillen wäre kontraproduktiv. Lasst eurem Kind die Sicherheit noch ein bisschen bestehen. Und auch Kinder, die zu Hause nur an der Brust einschlafen, werden bei einer kompetenten und zugewandten Betreuungsperson einen anderen Weg in den Schlaf finden. Schon Kleinkinder können sehr gut zwischen zu Hause und Kita unterscheiden. Bietet eurem Kind zu Hause einen Ponyhof und ihr werdet sehen, mit ein bisschen Geduld und eurem klaren Willen wird die Eingewöhnung schlussendlich ein Erfolg. Und eine weitere wichtige Info möchte ich euch heute an die Hand geben: Fachpersonal ist nicht automatisch versiert beim Thema Stillen. Damit meine ich, dass nicht jede Hebamme auch Stillberaterin ist. Es gibt sehr viele tolle engagierte Hebammen dort draußen, die Fortbildungen zum Thema Stillen absolviert haben aber man kann nicht davon ausgehen, dass die eigene Hebamme sich Tippi Toppi auskennt. Genauso verhält es sich übrigens mit Kinderärzten:innen. Die sind nicht automatisch Ernährungsberater:innen. Wenn also euer Kinderarzt/eure Kinderärztin bei der U4 vorschlägt, bald mit der Beikost zu beginnen, dann schaut nicht auf Tabellen und Charts, sondern auf euer Kind. Erfüllt es alle Beikostreifezeichen? Fühlt ihr euch wohl damit? Oder setzt euch der Beikostplan von Claus H. der dafür mit seinem Namen steht unter Druck? Schreibt mir gern per Mail, welche Still-Mythen ihr schon so gehört habt. Ich wünsche euch und euren Kindern eine liebevolle, selbstbestimmte und friedliche Stillbeziehung. Alles Liebe, eure Julia P.s. als Fachkraft für Formula ernährte Säuglinge berate ich Fläschchen-Eltern als Pendant zur Stillberaterin. Hier kannst du mehr zu meiner Arbeit lesen. Disclaimer: Bitte wende dich bei Fragen und vor allem bei Problemen an eine Stillberaterin. Die meisten Herausforderungen beim Stillen kann man mit professioneller Hilfe lösen, wenn man es möchte.